Institut für integrale Gesprächs- und Focusingtherapie

Anregungen für eine zeitgemäß- integrale Weltsicht

Ein Großteil der Menschen in Deutschland ist im Hinblick auf Politik und Gesellschaft desillusioniert, fühlt sich von den gegenwärtigen Krisen überfordert und glaubt, dass die Politiker wenig Ahnung haben von dem, was sie tun. Viele reagieren darauf mit einem persönlichen Rückzug ins Private und suchen Zuflucht vor allem im persönlichen Umfeld, in der Familie, im Fitness-Training und bei Freunden und Bekannten.  

Da wir – evolutionstheoretisch bedingt – auf katastrophale Nachrichten achtmal stärker reagieren als auf positive Nachrichten, wird z.B. über einen Partner-Mord in einer Kleinstadt in ganz Deutschland berichtet – die Tausende glücklich lebender Paare werden jedoch nicht erwähnt! Wie können wir ein stärkeres Bewusstsein für ein positives weltoffenes Miteinander entwickeln? Wie könnte unsere macht- , katastrophen- und erfolgsorientierte Gesellschaft dazu gebracht werden, dass wir mehr Verständnis und Verantwortung für die Menschheitsfamilie und für den ganzen Planeten übernehmen?

Größere Veränderungen im Leben sind zu Beginn meist durch Krisen und Unsicherheiten gekennzeichnet – denn wir beschäftigen uns mit etwas, was noch nicht ist, sondern erst im Entstehen begriffen ist. Nur wenn wir diese Krisen verstehen, ohne daran zu verzweifeln, können wir neue Fähigkeiten zur Transformation aktivieren. Dafür unerlässlich wäre eine zunehmend-weltumspannende Ethik sowie ein Bildungssystem, das bereits in der Grundschule neben Leistung und Benotung Gemeinsamkeit, verantwortliches Handeln und ethische Grundhaltungen stärker und bewusster fördert. Auch die Medien sollten uns nicht nur vorwiegend katastrophale Faktenschilderungen vermitteln, sondern auch sinnvolle Hilfestellungen geben, wie wir mit all diesen komplexen Wirklichkeiten konstruktiv, sinnvoll und kompetenter umgehen können. Wissenschaftlich-logische Konzepte ändern und verbessern sicherlich in mancher Hinsicht unser Leben. Doch dann sollten wir das, was wir logisch herausgefunden haben, wieder lebendig „atmen“ lassen, ganzheitlich mit Körper, Herz, Geist und Seele wahrnehmen. Mit großem Respekt für das, was sich von innen heraus entfalten kann.
Wissenschaft und Weisheitslehren stimmen in einer grundlegenden Aussage überein: Alles ist mit allem verbunden – in einem unteilbaren, lebendigen und schöpferischen Wesensgrund. Jeder Einzelne ist eingebunden in ein größeres Ganzes, von dem er ein Teil ist und an dem er kreativ mitwirkt.

Der alternative Nobelpreisträger Hans-Peter Dürr antwortete in einem Arbeitskreis in München auf meine Frage, wie Quantenphysik zu menschlicher Sinnhaftigkeit steht: Neurobiologen untersuchen nur den „Drucker“ – der Hintergrund ist in einer ganz anderen Sprache geschrieben – die wir meist übersehen. Die Wirklichkeit ist noch unendlich viel komplexer als selbst jede quantenphysikalische Erklärung.“

Höhere geistige Zustände sollten daher immer auch um die Einsicht ergänzt werden, dass man auch auf den anderen Ebenen und Stufen arbeiten sollte (Therapie, Sport, Ernährung, Beziehungen, Lebensunterhalt). Menschen sprechen viel eher auf gesunde, kongruente Botschaften an, die sie dort “abholen”, wo sie sind, als auf höhere Botschaften, die durch Neurosen und Brüche auf den unteren Ebenen entstellt sind. Das heißt auch, sich an den Platz im eigenen Leben zu stellen, an dem man steht, mit all seinen Eigenschaften, seiner Geschichte, wie es sich anfühlt, in dieser Zeit, in dieser Familie, in dieser Kultur geboren zu sein.

Die zunehmend wechselseitige Verschränkung aller Lebensbereiche erfordert, dass wir alle Ebenen des Seins in einer größeren Perspektive – auf der Basis einer humanistischen Grundhaltung – neu zusammenführen. Der humanistische Ansatz basiert auf den Grundhaltungen, die Carl Rogers als Kongruenz (Echtheit), Akzeptanz (Wertschätzung) und Empathie (Einfühlung) beschrieben hat. Dabei entscheiden wir uns immer wieder für eine offene Selbsterforschung, deren Form und Richtung in hohem Maße vom Einzelnen selbst bestimmt wird. Eine empathisch humanistische Sichtweise hilft, andere besser zu verstehen und eigene Emotionen und Gefühlslagen tiefer zu begreifen – und verstärkt zudem die Fähigkeit, in „empathischer Konfrontation“ für die Welt effektiv Verantwortung zu übernehmen.

Achtsamkeit ist heute im Mainstream angekommen – durchaus positiv -, doch leider auch mit Schattenseiten behaftet. Denn meditative Techniken werden auch verwendet, um „selbstwirksam optimiert“ in Verteilungskämpfen noch geschickter nach vorne zu kommen. Vielleicht erleben viele auch deswegen diese seltsame Verlorenheit in der Welt, die unsere Kultur derzeit zunehmend prägt, eine gewisse kosmische Heimatlosigkeit, ohne Zugehörigkeit zu tieferen Sinnhorizonten. Wirkliche Achtsamkeit führt dazu, dass man wach und achtsam in allen Lebenslagen ist.

Psychologische Erkenntnisse, meditative Versunkenheit mit überraschenden, oft atemberaubenden Momenten sind dann weiterhin spannende Erfahrungen, denen aber keine so herausragende Bedeutung mehr zukommt, weil im Innersten eine beständige tiefe Ruhe und innere Klarheit erfahren wird. Im Erkennen, dass wir ein bedeutsamer Teil des All-Einen sind, spüren wir unsere wahre Identität und können eine Ruhe und friedvolle Stille in unserer inneren Befindlichkeit spüren. Pater Anselm Grün betont, dass Spiritualität nicht ohne Psychologie existieren kann: Unsere inneren Räume müssen lebensfähig sein, nur dann können wir „gut in den Raum unterhalb der Leidenschaften“ kommen und ohne allzu dunkle psychische „Schatten“ eine tiefere Klarheit entdecken.
Wir sollten also unseren Humanismus, unsere Psychologie, Spiritualität, das Heilige oder wie immer wir es nennen mögen vertiefen bis weit in den kollektiven Schatten hinein, um uns und die Welt bestmöglich transformativ zu begleiten und zu verändern.

Diese humanistische Sichtweise zentriert die Aufmerksamkeit auf unsere unmittelbar gegenwärtige Erfahrung und hilft uns, mit dem, was wir in unserem Inneren wirklich fühlen und empfinden, einfühlsam in Kontakt zu treten. Dies hilft Ihnen dabei, mit der zunehmenden Fülle digital-vernetzter Informationen unserer Wirklichkeit besser umzugehen. Die Fragen nach persönlichem Lebenssinn, lebensbejahender Akzeptanz und integraler Spiritualität schulen Ihre gegenwartsklare Aufmerksamkeit, mit der Sie unsere komplexe menschliche Natur als „Teil-Ganzes“ der gesamten Biosphäre besser begreifen und – vielleicht sogar – aktiv und verantwortungsvoll handelnd weiterentwickeln können.
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Graffiti, gefunden an einer Hauswand in Berlin-Kreuzberg  (2014):
Wer nur sich selbst verändert, ist ein Träumer, wer nur das Außen verändert und nicht sich selbst, ist ein Heuchler.